Zum Jahreswechsel 2020 konnte der Studiengang Bauingenieurwesen im Neubaugebäude 142 auf dem Campus Stadt-Mitte in Winterthur einziehen. Das Gebäude wurde direkt neben dem Gebäude G189/191 (Studiengang Architektur) auf dem ehemaligen Sulzer-Areal erstellt. Um den angehenden Bauingenieur:innen eine direkte Verbindung zur Cafeteria im G189 zu ermöglichen, wurde auf ca. 12m Höhe ein Verbindungssteg geplant und ausgeführt. Gleichzeitig wurde auch das Ziel verfolgt, den Austausch zwischen Studierenden der Studiengänge Architektur und Bauingenieurwesen zu fördern. Für die Umsetzung war das Einverständnis der Stiftung Abendrot, als Gebäudeeigentümerin, notwendig. Pünktlich zum Studienbeginn im September 2021 konnte die Passerelle eröffnet werden.

Passerelle als CPC-Bauwerk der neusten Generation
Passerelle als CPC-Bauwerk der neusten Generation

Bei der Planung standen eine offene und eine geschlossene Lösung zur Diskussion. Umgesetzt wurde die offene Lösung mit einer Länge von ca. 5m und eine Breite von 1.25m. Damit bleibt der Steg als innovatives Ingenieurprojekt lesbar und wird nicht als finaler Gebäudeteil verstanden. Der Verbindungssteg verläuft sowohl in der Horizontalen in einem schiefen Winkel zu den Fassadenflächen der beiden Gebäude, als auch vertikal mit einem Versatz von ca. 50cm. Bei einer geschlossenen Variante hätten diese und weitere Anforderungen, wie z.B. der beidseitige Fassadenanschluss, den Entwurf zu weit eingeschränkt. Im Gebäude 191 wurde innenseitig ein Windfang mittels Vorhang erstellt, auf Seite des Neubaus mussten keine Massnahmen ergriffen werden.

Konstruktion

Die Passerelle wurde als CPC-Bauwerk der neusten Generation ausgeführt. Für das Tragwerk wurde auf jegliche metallische Komponenten verzichtet. Das Haupttragwerk wird mit zwei stehenden 60mm dicken CPC-Scheiben gebildet. Die stehenden Scheiben weisen Ausfräsungen für die dreiteilige Brückenplatte und die unter der Brückenplatte quer verlaufenden Aussteifungsstege auf. Der Höhenunterschied von 50cm zwischen den Geschossniveaus der beiden Gebäude wird mit der mittleren Brückenplatte ausgeglichen. Die Aussteifungsstege und Brückenplatten sind jeweils 40mm dick und vertikal im Abstand von 10mm zueinander gehalten. Im Verbindungsbereich entsteht dadurch zwischen allen drei Elementen eine durchgängige Fuge von 10mm. Durch geschicktes Anordnen von Anfasungen der CPC-Platten im Verbindungsbereich und das Auffüllen des Spaltes mit einem hydraulischen Mörtel kann eine kraftschlüssige Verbindung erzielt werden. Mittels Kleinversuchen wurde ein geeigneter Mörtel eruiert. Die Mörtelfuge wird mit der entwickelten Verbindung nur auf Druck belastet, die anfallenden Zugkräfte werden über die Carbon-Bewehrung in den CPC-Platten aufgenommen.

Eindrehen der Passerelle
Eindrehen der Passerelle

Da die Brücke in der Gasse eingeschwenkt werden musste, ist die Passerelle etwas kürzer als die lichte Breite der Gasse. In den Anschlussbereichen wurde die Brückenplatte wegen der einspringenden Fassade beidseitig nachträglich verlängert. Um die Querkräfte und Momente der Anschlussplatte in die Brückenplatte einzuleiten, wurden längliche Verbindungselemente aus CPC-Platten in den Spalt zwischen Brücken- und Anschlussplatte eingesetzt und mit einem hydraulischen Mörtel vergossen.

Auflager

Auflager Seite Gebäude 142
Auflager Seite Gebäude 142

Als Auflager für die Passerelle konnte beim Gebäude 189/191 die ehemalige Kranbahn genutzt werden. Beim Gebäude 142 wurden bereits beim Bau Anschlusspunkte in die Tragkonstruktion integriert, an welche das in Stahl ausgeführte Auflager vor dem Versetzen der Passerelle mit Schrauben montiert werden konnte. Um ein Verschieben der Brücke in Längs- und Querrichtung zu verhindern, wurden die stehenden CPC-Scheiben und das Stahlauflager eingeschlitzt und ineinandergesteckt. Ein Verdrehen der Brücke wird über einen Anschlagpunkt auf Seite des Gebäudes G191 verhindert, Quer- und Längsausdehnungen infolge Temperatur sind jedoch möglich.

 

Werkstoff CPC-Platte

CPC – carbon prestressed concrete – ist eine Alternative zum konventionell verwendeten Stahlbeton, wobei die Stahlbewehrung durch vorgespannte Carbonfasern ersetzt ist. Dank der viel höheren Zugfestigkeit von Carbon gegenüber gebräuchlichem Baustahl, dem Wegfall der ansonsten notwendigen hohen Bewehrungsüberdeckung und der Vorspannung der Carbonfasern können äusserst schlanke Tragkonstruktionen realisiert werden. Gerade auch die Nachhaltig von Betonbauten wird dadurch wesentlich verbessert. Die CPC-Technologie wurde in einer Forschungzusammenarbeit zwischen der ZHAW und der Firma Silidur ab 2010 entwickelt und patentiert. 2013 wurde die CPC AG gegründet, welche industriell grossformatige CPC-Platten herstellt.

 

Forschung: ZHAW, Dept. A, Zentrum Bautechnik und Prozesse, Fachgruppe FVK www.zhaw.ch/fvk

Bilder: ZHAW, Fachgruppe FVK