Die Natur ist ein Vorbild für Leichtbauweisen: Sie vergeudet kein Material, sie verschwendet keine Energie. Material- und Energiekreisläufe funktionieren perfekt. Um es ihr gleichzutun, brauchen wir beim Entwerfen, Konstruieren und Realisieren von Leichtbaulösungen neue innovative Ansätze, Mut, Fantasie und Wissen. Dazu übermittelten uns die Referentinnen und Referenten des CU BAU Innovation Day am 29. Juni 2023 aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln ihre jeweiligen Anregungen und Erfahrungen.

Frau Dipl.-Ing. Heike Metschies berichtete in ihrem Vortrag „Bastfasern aus nachwachsenden Ressourcen – Untersuchungen zur Anwendung von Bastfasern im Leichtbau“ über ihre Forschungsarbeiten am Sächsischen Textilforschungsinstitut Chemnitz. Sie stellte Bastfaserbewehrungen aus Nutzhanf, Flachs, Kenaf und Ramie sowie Tränkungsversuche dieser Fasern mit Epoxidharz vor. Speziell ging sie auf die Eigenschaften von Hanfbastfaserbewehrungen und auf textile Wertschöpfungsketten mit Naturfasern (z. B. die Verarbeitung von Hanfbastbändern mit der Häkelgalontechnologie oder die Pultrusion mit Bastfaser-KEMAFIL®-Bändern) ein. Abschließend stellte sie das Forschungsprojekt „Hanffaserverstärkte hochleistungsfähige und ressourceneffiziente Holz-Beton-Verbund-Decken“ vor. „Zielstellung des Projekts war es, durch die Verbindung nachhaltiger Bauprodukte und -weisen ein innovatives Deckensystem, auf Grundlage der Holz-Beton-Verbundbauweise (HBV-Bauweise), als ökonomische und ökologisch vorteilhafte Alternative zu den momentan vorherrschenden, energie- und ressourcenintensiven Deckenkonstruktionen aus Stahlbeton zu entwickeln. Das Deckensystem besteht aus Holzstegen, deren Zugzone durch hochleistungsfähige hanffaserbasierte Armierungstextilien verstärkt ist. Dadurch wird eine deutliche Reduktion des notwendigen Holzquerschnitt und eine anforderungsgerechtere sowie verantwortungsvollere Nutzung des Querschnitts für alle üblichen Spannweiten des Hoch- und Geschossbaus gelingen. … Hinsichtlich der mechanischen Eigenschaften, insbesondere Steifigkeit, werden Festigkeitswerte im Bereich konventioneller Glasfaser-Composites erreicht.“ Zitat Internetseite GRO COCE – Hanffaserkunststoffverstärkte, hochleistungsfähige und ressourceneffiziente Holz-Beton-Verbund-Decken- Sächsisches Textilforschungsinstitut e.V. (STFI)

Bild 1: Vom nachwachsenden Werkstoff zur Verstärkungstechnologie (Quelle: Sächsisches Textilforschungsinstitut Chemnitz)

 

Das Thema des Vortrags von Dipl.-Ing. Danny Friese lautete: „Biologisch inspirierte belastungsangepasste 3DTextilverstärkungsstrukturen“. In der Zeitschrift „Forum Materialwissenschaft“ Band 1063 fasst Herr Friese seine Forschungsergebnisse zu diesem Thema wie folgt zusammen:
„Eine wesentliche Strategie zur Reduzierung des Bedarfs an natürlichen Ressourcen und der damit verbundenen Umweltbelastung ist die Steigerung der Materialeffizienz im Planungsprozess für neue Gebäudestrukturen. Innovative Konzepte für die Planung, Modellierung, Konstruktion, Herstellung und Nutzung nachhaltiger, ressourceneffizienter Bauteile auf Betonbasis bilden die Grundlage für zukunftsorientierte Konstruktionen. Aus diesem Grund ist die Fähigkeit, biologisch inspirierte textile 3D-Bewehrungsstrukturen zu verarbeiten entscheidend, um das Potenzial von Carbonbeton voll auszuschöpfen. Dieses Forschungsvorhaben liefert einen grundlegend neu ausgerichteten, CAE-gestützten Ansatz, so dass Optimierungsalgorithmen, numerische Modelle zur Generierung von Roboter-Bestückungsbahnen und bionisch induzierte Fadenpositionierung berücksichtigt werden können.
Das weiterentwickelte intelligente und modulare Fadenablagesystem bildet die Grundlage, um aktuelle Herausforderungen bei der Platzierung und Stabilisierung von räumlichen und stark verzweigten Bewehrungstopologien während des Herstellungsprozesses zu meistern. Die neuartige werkzeugunabhängige, geometrisch hochvariable, robotergestützte Faserlegetechnologie soll daher in der Lage sein, biologisch inspirierte, belastungsangepasste 3D-Textiltopologien mit Verstärkung in z-Richtung herzustellen.“

Bild 2 Vom Ameisenbaum zum biologisch inspirierten Faserverbund-Tragwerk (Quelle: Institut für Textilmaschinen und textile Hochleistungswerkstofftechnik der TU Dresden)

 

Zwei weitere Vorträge befassten sich mit unterschiedlichen Matrices für Faserverbundwerkstoffe. „Mineralische Matrices für ressourceneffiziente Betone“ war das Thema des Beitrags von Dr. Marko Butler, Arbeitsgruppenleiter am Institut für Baustoffe der TU Dresden. Er führte zunächst in die Grundlagen des Werkstoffs ein und entfaltete daraus (naturgesetzlich inspirierte) Methoden nachhaltiger Weiterentwicklungen. Mineralische Matrices bestehen bekanntlich aus zwei grundlegenden Komponenten, einer Gesteinskörnung und einem Bindemittel. Die Gesteinskörnung formt ein Kornhaufwerk. Das Bindemittel füllt die Hohlräume des Kornhaufwerk auf, schafft damit ein kompaktes Gefüge, verklebt die Gesteinskörnungen und ermöglicht die Herstellung eines Festkörpers. Zugleich sorgt es durch die Bildung eines Gleitfilms für die Verarbeitungseigenschaften des Frischbetons. Somit stehen zwei Handlungsstrategien für die Entwicklung ressourceneffizienter Betone zur Verfügung: 1. Die Optimierung der Packungsdichte des Kornhaufwerks, 2.bezüglich der Bindemittel die Verwendung nachhaltiger oder kreislauffähiger Stoffsysteme. Allein über die Optimierung der Packungsdichte mittels Abstimmung der Partikelgrößen und der Kornformen konnte im Rahmen der C3-Forschung die Betondruckfestigkeit gegenüber einer praxisüblichen Referenzmischung um 16 % gesteigert werden. Auf der Bindemittelseite geht es um Ersatzstoffe für den Portlandzement, wie z. B. Kalkstein, Flugasche , Schlacke, natürliche Puzzolane und kalzinierte Tone, die immer hinsichtlich ihrer Verfügbarkeit und Kosten beurteilt werden müssen.

Dr. Butler schließt folgendes Fazit:

  • Portlandzementklinker bleiben vorerst unverzichtbar aufgrund ihres breiten Anwendungssektrums, ihres großen Leistungsvermögens und der guten Dauerhaftigkeit.
  • Aber: Ein Teilersatz von Portlandzementklinkern ist möglich. Allerdings ist die mögliche Anwendungsbreite dieser Betone eingeschränkt.
  • Alkaliaktivierte Binder und Geopolymere haben einen günstigeren ökologischen Fußabdruck, benötigen jedoch Rohstoffe mit beschränkter Verfügbarkeit
  • Magnesiabinder zeigen ein gutes Potential zu zirkulären, CO2-neutralen Betonanwendungen und verfügen über ein hohes mechanisches Leistungsvermögen, jedoch bei eingeschränkter Dauerhaftigkeit

Für die Baupraxis bedeutet dies sorgfältige Abwägungen und Prioritätensetzung (mit allen am Bau Beteiligten!) sowie eine differenzierte Planung und Ausschreibung.

Bild 3: Die zwei Grundsatzstrategien für ressourceneffiziente Betone (Quelle: Institut für Baustoffe der TU Dresden)

 

Christoper Gardel B. Eng. Composites von der Firma Schill + Seilacher „Structol“ GmbH stellte in seinem Vortrag „Baubereit mit Biopolymeren – Harzsysteme für nachhaltige Faserverbundwerkstoffe“ neue Entwicklungen biobasierter Harzsysteme vor. Zum Beispiel steht mit der „Polyvertec“-Produktfamilie von „Structol“ eine Alternative zu petrochemischen ungesättigten Polyesterharzen zur Verfügung, deren Erzeugnisse zu 99 Gewichtsprozenten aus biobasierten Ausgangsstoffen bestehen. Faserverbundwerkstoffe mit polymeren Matrices zeichnen sich durch besondere Leichtigkeit und einfache, lastpfadgerechte Formbarkeit aus. Sie werden in der Baubranche u. a. im Fassadenbau, im Innenausbau, im Garten- und Landschaftsbau oder bei der Ausbildung komplexer räumlicher Tragstrukturen angewendet. In Verbindung mit nachwachsenden Faserwerkstoffen eröffnen sich spannende Perspektiven für eine nachhaltige Architektur. Als Beispiele seien der LightPro Shell Pavillon von BioMat/ITKE Stuttgart aus dem Jahr 2021 und aktuelle Exponate aus Bioverbundwerkstoffen auf der Architektur-Biennale 2023 in Venedig genannt. Eigenschaften von Biopolymeren können zielgerecht für den jeweiligen Anwendungsfall entwickelt werden. Hier sind die technischen Möglichkeiten noch längst nicht ausgeschöpft. Allerdings können die Faser-Matrix-Verbünde zum jetzigen Stand der Technik nicht wieder in ihre Ursprungmaterialien zerlegt werden. Aus Sicht der Nachhaltigkeit bedeutet das, am Ende des Lebenszyklus der Gesamtkonstruktionen eine Wiederverwendbarkeit der einzelnen Bauelemente zu gewährleisten.

Bild 4: Von Biopolymeren und nachwachsenden Fasern zu Leichtbauweisen der Zukunft (Quelle: Structurol (1. v. links), CG TEC (2. und 3. von links), BIOMAT (rechts))

„Carbonbeton – Praxisanwendungen mit Ökobilanz und Umwelt-Produktdeklaration“: Christian Döring von der solidian GmbH erläuterte in seinem Vortrag am Beispiel des Verbundwerkstoffs Carbonbeton Nachweisführungen zur Nachhaltigkeit von Bauprodukten mittels Umweltproduktdeklarationen (EPD) bzw. von baulichen Anlagen mittels Ökobilanzen. Die Erstellung von Umweltproduktdeklarationen erfolgt nach DIN EN ISO 14025 und EN 15804, die von Ökobilanzen nach DIN EN ISO 214040 und 14044. Hierfür sind zertifizierte Unternehmen heranzuziehen. Beide Nachweise gelten als Werkzeuge einer integralen Planung und liefern zugleich Kriterien für die Vergabe von Bauleistungen. Herr Döring verifizierte seine Aussagen an zwei Beispielen. So konnte in einer Ökobilanzstudie zur Carbonbeton-Fußgängerbrücke in Albstadt-Ebingen gegenüber einer konventionellen Stahlbetonkonstruktion eine Einsparung von ca. 170 kg CO2 – Äquivalent pro m2 nachgewiesen werden. Durch den Einsatz von 190 kg Carbon wurden hier 21.000 kg Gesteinskörnungen, 4.000 l Wasser, 1.500 kg Stahl 7.500 kg Zement und 9.000 kg. Asphalt eingespart. Die Ökobilanzstudie einer Carbonbeton-Fassade erbrachte eine Einsparung von ca. 65 kg CO2 – Äquivalent pro Fassadenelement von 8,5 m2. Bei einer geplanten Gesamtfläche von 1.600 m2 bedeutete das eine Einsparung von ca. 12 Tonnen CO2-Äquivalent.

Bild 5: Carbonbeton-Bauwerke mit Ökobilanzen (Quelle: Solidian GmbH)

 

Der Innovation Day endete mit „Frischem Wind für die Baubranche“. Die Aachener Architektin Ina-Marie Orawiec von OX2architekten GmbH formulierte Visionen zur Anwendung von ausgedienten Rotorblättern zur Raumbildung im städte- und landschaftsplanerischen Kontext. Sie verzichtet dabei auf die Trennung der Materialbestandteile, sondern sucht nach Lösungen, die die Nutzung der ursprünglichen Konstruktionen für alternative Anwendungen in einem zweiten Lebenszyklus ermöglichen.

Wir sind dankbar für die inspirierenden Denkanstöße der Referentinnen und Referenten sowie aller Teilnehmenden.

In diesem Sinne alles Gute, einen schönen Sommer und bis zum nächsten Mal.
Dr. Ingelore Gaitzsch im Namen des Teams von CU BAU