Der Krieg in der Ukraine, die COVID-19-Krise oder auch die Schließung des Suezkanals hatten jeweils schwere Versorgungsunterbrechungen zur Folge und stellten die Weltwirtschaft vor finanzielle und logistische Herausforderungen. Doch auch im Kleinen konnte man erst kürzlich an den Überschwemmungen in Süddeutschland sehen, was es bedeutet, wenn Lieferketten unterbrochen sind.
Um vor allem kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) in Europa zu unterstützen derartigen Störungen widerstandsfähiger und nachhaltiger entgegenzutreten, hat das ResC4EU Konsortium das EU-Projekt & die Initiative ResC4EU (Resilient Supply Chains for Europe) ins Leben gerufen. Im Rahmen des Projektes arbeitet das Fraunhofer IGCV an der Entwicklung von Modellen und digitalen Werkzeugen, die Störungen in Produktionsprozessen schneller erkennen und beheben können. Das EU-Projekt wird mit drei Millionen Euro von der Europäischen Union gefördert wird und ist auf drei Jahre ausgelegt.
Schnell Alternativen finden
Unternehmen sind in der Regel auf unterschiedliche Zulieferer angewiesen. Rohmaterialien oder Bauteile werden nicht selten über weite Strecken mit dem LKW, Zug oder Flugzeug transportiert. »Grundsätzlich ist es hilfreich, die eigenen Lieferketten gut zu kennen. Woher kommt mein Material und welche Wege muss es nehmen, um bei mir zu landen? Leider kommt es immer wieder vor, dass vor allem kleinere Unternehmen bankrottgehen, weil sie diesen Aspekt vernachlässigen und Lieferschwierigkeiten beziehungsweise -ausfälle im Krisenfall nicht ausgleichen können«, sagt Clemens Gonnermann, der am Fraunhofer IGCV zu Fragen der Digitalisierung und KI in der Produktion arbeitet. Im Rahmen des ResC4EU Projekts soll deshalb ein Wissensmodell entstehen, das Unternehmen einen genauen Überblick über ihre Lieferketten gibt und umfassende Risikobewertungen für potenzielle Unterbrechungen aufzeigt. Im Bedarfsfall gibt das digitale Werkzeug dann mithilfe eines Algorithmus individuelle Lösungen für Produktion, Transport sowie Lagerung an. »Das übergeordnete Ziel ist immer, dass die Produktion wie gewohnt weiter geht, ohne Produktionsstopp oder Kurzarbeit der Mitarbeitenden. Das reduziert nicht nur Kosten, sondern fördert auch die Kundenzufriedenheit und schafft erhebliche Wettbewerbsvorteile«, erklärt der Fraunhofer-Wissenschaftler.
Nachhaltigkeit im Blick
Ändert sich eine Lieferkette, hat das allerdings nicht nur Auswirkungen darauf, ob weiter produziert werden kann oder nicht. Auch die CO2e-Bilanz eines Produktes ändert sich. Gemeint sind damit nicht nur CO2-Emissionen sondern auch Methanemissionen und weitere Einflussfaktoren. »Es lässt sich ein globaler Trend beobachten, bei dem Unternehmen immer stärker in die Pflicht genommen werden, transparent über ihre Treibhausgasemissionen Auskunft zu geben. Zudem werden diese zunehmend zu einem Wettbewerbsfaktor«, führt Aljoscha Hieronymus an, der am Fraunhofer IGCV im Themenbereich der Nachhaltigkeit arbeitet. Am naheliegendsten sei das beim Standort und Transport. »Ob ich mein Material regional beziehe oder es einfliegen lasse, hat einen Einfluss auf dessen ökologischen Fußabdruck.« Aber auch das Herstellungsverfahren als solches kann viel oder wenig Energie verbrauchen. Im Rahmen des EU-Projekts erarbeiten Gonnermann, Hieronymus und die Kolleg:innen daher nicht nur einheitliche Parameter für die Widerstandsfähigkeit von Lieferketten, sondern kategorisieren diese auch nach ihrem Energie- und Ressourcenverbrauch sowie ihrer Klimaauswirkung. »Wir werfen dabei zum Beispiel einen Blick auf die Energiemärkte in unterschiedlichen Ländern und schauen, ob der Strom dort aus erneuerbaren oder fossilen Quellen stammt. Das vereinfacht die Nachhaltigkeitsfrage für Unternehmen deutlich.«
CO2e-Bilanz am Beispiel von Carbon-Bauteilen
Gemeinsam mit der Abteilung für Nachhaltige Fabrikplanung und -betrieb am Fraunhofer IGCV untersuchen Clemens Gonnermann und sein Team exemplarisch die CO2e-Bilanz des Verbundwerkstoffs Carbon, der in der Luft- und Raumfahrt zum Einsatz kommt. Von der Produktion bis zum Recycling deckt das Fraunhofer IGCV dessen gesamte Wertschöpfungskette ab und berücksichtigt dabei auch die Ansprüche aus der Industrie. »Aufgrund unserer Expertise in der Forschungs- und Entwicklungsarbeit von Carbon-Composites, können wir auf umfangreiche Daten zurückgreifen. Für das ResC4EU-Projekt entwickeln wir auf dieser Basis Modelle, die unterschiedliche Fertigungsprozesse miteinander vergleichen und dabei ökologisch und ökonomisch bewerten«, erklärt Gonnermann. »Diese Berechnungen werden automatisiert und bieten dem Unternehmen im Bedarfsfall eine nachhaltige und wirtschaftlich sinnvolle Lösung.« Die Modellierungen dienen im zweiten Schritt als Blaupause für weitere technische Verfahren und Bauteile aus anderen Industriesektoren.
Die ResC4EU Initiative bietet Unterstützung für KMUs aus insgesamt 14 unterschiedlichen Industriesektoren an, darunter Luftfahrt-, Raumfahrt- und Verteidigung, zivile Sicherheit, Mobilität (Transport- und Automobilindustrie), Erneuerbare Energien, Elektronikindustrie, digitale Industrie, Baugewerbe, Textilindustrie, Agrar- und Lebensmittelsektor, Kultur- und Kreativwirtschaft, Gesundheitssektor, Sozialwirtschaft, Einzelhandel, und Tourismus.
Um diese Bandbreite abdecken zu können, besteht das ResC4EU Konsortium aus sechs der führenden europäischen Industrieverbände und -cluster mit direkten Zugang zu bis zu 1000 KMUs in ganz Europa. Außerdem gehören dem Konsortium zwei KMUs an, eine KMU für Cluster- und Innovationsmanagement und eine KMU für digitale B2B Plattformentwicklung und -management. Das Fraunhofer IGCV und das Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL) vervollständigen das Konsortium als Forschungseinrichtungen. Koordiniert wird das EU-Projekt vom deutschen Industrieverband Composites United e.V. (CU).
Die einzelnen Partner des ResC4EU-Konsortiums sind:
- CU, Composites United e.V. (Deutschland) – Koordinator
- MCN, Maritimes Cluster Norddeutschland e.V. (Deutschland)
- LITC, Lettischer IT Cluster (Lettland), ein Europäisches Digitales Innovationszentrum (EDIH, European Digital Innovation Hub)
- AIDIMME (Spanien), Technologieinstitut und Verband Innovativer Unternehmen
- PKTK, Polnisches Cluster für Verbundwerkstoffe (Polen), koordiniert von GoFar Sp.z.o.o
- ATIM Cluster, Irisches Cluster für fortschrittliche Technologien in der Fertigung (Irland), koordiniert von der Technischen Universität Shannon: Midlands Midwest (TUS)
- Scaberia AS (Norwegen)
- GreenTwin GmbH (Österreich)
- ISL, Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (Deutschland)
- Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung e.V. (Deutschland)
Das ResC4EU Konsortium
Das ResC4EU Konsortium wird Modelle und Tools entwickeln und bereitstellen, die KMUs bei der Erkennung und Antizipation von Störungen in ihrer Lieferkette unterstützen können. Des Weiteren werden KMUs maßgeschneiderte Unterstützungs- und Schulungsprogramme angeboten. Darüber hinaus werden KMUs aus dem verarbeitenden Gewerbe, die fortschrittliche Technologien implementieren müssen, mit technisch versierten KMUs zusammengebracht, die innovativen Lösungen für widerstandsfähigere und nachhaltigere Produktionsprozesse und Lieferketten anbieten. Die Unterstützung durch das Konsortium beginnt mit einer Bewertung der Bedürfnisse, Risiken, Störungen, Herausforderungen und Möglichkeiten für KMUs.
Weitere Informationen unter www.resc4eu.com.
Ansprechpersonen
Clemens Gonnermann | Digitalisierung und KI in der Produktion | Fraunhofer-Institut für Gießerei-, Composite- und Verarbeitungstechnik IGCV | clemens.gonnermann@fraunhofer.igcv.de | Am Technologiezentrum 10 | 86179 Augsburg, Germany | www.igcv.fraunhofer.de
Aljoscha Hieronymus| Nachhaltige Fabrikplanung und -betrieb | Fraunhofer-Institut für Gießerei-, Composite- und Verarbeitungstechnik IGCV | aljoscha.hieronymus@fraunhofer.igcv.de | Am Technologiezentrum 2 | 86159 Augsburg, Germany | www.igcv.fraunhofer.de
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