Verbundwerkstoffe spielen in vielen Anwenderbranchen eine zunehmende Rolle. Der Composites United e. V. (CU) – das führende Netzwerk für faserbasierten hybriden Leichtbau – möchte den Austausch mit Anwenderbranchen intensivieren und hierfür Mitglieder und Gäste aus den Branchen ins Gespräch bringen, um Ideen für neue Anwendungen und neue Technologien zu diskutieren. Die Referentinnen und Referenten stellen ihre Projekte und Einschätzung vor und stellen sich der Diskussion mit den Teilnehmenden. Die Veranstaltung im September 2024 fand gemeinsam mit MariLightNet, dem Verband für Schiffbau und Meerestechnik und seinen Mitgliedern statt. „Der Bootsbau ist eine Branche mit 500 innovativen mittelständischen Werften. Vielleicht kann der Bootsbau eine ähnliche Rolle als Innovationstreiber für den Schiffbau entwickeln, wie der Rennsport für die Pkw-Entwicklung,“ so Dr. Heinz Kolz (Clustergeschäftsführer CU West) in seiner Begrüßung.
Transferieren, Skalieren, Integrieren: Wie kann der Schiffbau vom Bootsbau profitieren?
Zum Einstieg in das Thema stellte sich MariLightNet vor. Der Verband verfolgt u. a. das Ziel, den Leichtbau im Schiffbau durch künftige Projekte zu revolutionieren und die Bedeutung des Leichtbaus für den Schiffbau im internationalen Wettbewerb zu stärken.
Im Bootsbau werden überwiegend die Materialien Holz und Faserverbund verwendet, während man im Schiffbau metallische Werkstoffe einsetzt. Der Bootsbau ist eher im Freizeitbereich angesiedelt, der Schiffbau fokussiert auf die Berufsschifffahrt. Aus diesen Einsatzfeldern haben sich unterschiedliche Regularien entwickelt. Während im Bootsbau der Einsatz von Verbundwerkstoffen – auch in der Serienproduktion – State of the Art ist, gibt es im Schiffbau aufgrund der fehlenden Erfahrungen Berührungsängste.
Folgende Voraussetzungen sind für einen Transfer von Know-how und Erfahrungen aus dem Boots- in den Schiffbau zu bewältigen:
- Skalierung der neuen Anwendungen: Abmessungen, Automatisierung, Logistik
- erste Komponenten sollten als Einstieg intergiert werden, dazu müssen Fügetechniken für die Verbindung zu Metallbauteilen zur Verfügung stehen und die Herausforderungen des Schweißens in der Nähe von Verbundteilen müssen gelöst werden
- Demonstratoren haben es bisher nur in Ausstellungen geschafft – diese müssen künftig auch zum Einsatz kommen, um Akzeptanz für Verbundwerkstoffe zu verbessern
Referent: Jon Steinlein, MariLight Cluster (CMT)
Nachhaltiger Bootsbau – Technologien für den Schiffbau?
Im Diskussionsbeitrag der GREENBOATS GmbH stand die Nachhaltigkeit des Bootsbaus im Mittelpunkt. Die Firma hat sich in den letzten zehn Jahren seit der Gründung zum führenden Unternehmen für nachhaltigen Bootsbau entwickelt.
Mit neuen Verbundlösungen erreichen die Entwicklungen des Unternehmens CO2-Einsparungen von 60 – 80 % gegenüber konventionellen Verbundwerkstoffen. Dabei wird auf gleichbleibende Materialeigenschaften und Materialpreise großer Wert gelegt.
GREENBOATS sieht die Potentiale des Stahlbaus im Schiffbau als weitgehend ausgeschöpft. Faserverbund kann einen Beitrag dazu leisten, die führende Position des deutschen Schiffbaus auch in der Zukunft zu sichern. Dabei geht es nicht darum, Stahl zu ersetzen, sondern Verbundwerkstoffe bedarfsorientiert einzusetzen. Mit Offenheit und Pilotprojekten kann der Transfer vom Bootsbau in den Schiffbau gelingen.
Referent: Paul Riesen, GREENBOATS GmbH
Vom Propeller über Windflügel und Brücken zurück zum Bootsrumpf – Wie Faserverbundtechnologien neue Bauweisen ermöglichen
Die IMA Materialforschung und Anwendungstechnik GmbH (IMA Dresden) und die BaltiCo GmbH berichteten in ihrem Vortrag über die Erfahrungen aus gemeinsam umgesetzten Projekten.
Die IMA Dresden ist ein international anerkanntes Prüf-, Überwachungs- und Prüfzentrum für Hersteller und Zulieferer. BaltiCo ist ein mittelständischer innovativer Dienstleister und Produzent auf dem Gebiet der Faserverbundwerkstoffe. Ursprünglich fertigte die Firma Schiffspropeller aus Faserverbund, heute setzt das Unternehmen die Faser-Wickel-Technologien für unterschiedlichste Anwendungen ein.
Die von BaltiCo entwickelte Stablegetechnologie bietet im Bootsbau viele Vorteile. Die Funktionstrennung zwischen den Spanten (Festigkeit) und Außenhaut (Flexibilität) ist bei der Serienfertigung vorteilhaft: Struktur und Innenausbau können fertiggestellt und am Ende mit der Außenhaut verkleidet werden.
Für den Schiffbau, der Jahrzehnte mit Stahl gearbeitet hat, bedeutet der Umstieg auf Verbundwerkstoffe ein hohes Risiko, da das Know-how für Material und Technologie fehlt. Um Anwendungen aus Verbundwerkstoffen für den Schiffbau hoch zu skalieren, muss lastangepasst gestaltet und die Grenzbereiche ausgetestet werden. Dieser Nachweis der Bemessungsregeln kann durch Fremdüberwachung und Stichproben der mechanischen Eigenschaften erbracht werden. Die Erfahrungen aus Zulassungen und Zertifizierungen von Anwendungen aus dem Boots- und Brückenbau zeigen, dass mittels Stablegetechnologie auch Serienanwendungen im Schiffbau realisiert werden können.
Referenten: Prof. Jens Ridzewski (IMA Dresden / Composite Consulting) und Dr. Dirk Büchler (BaltiCo GmbH)
Entwicklung eines Foil-unterstützen Leichtbau-Städte-Shuttles aus Carbon
Axel Reinsch von der ar engineers GmbH stellte in seinem Vortrag das aktuelle Projekt zur Entwicklung eines 25 m lagen Foil-unterstützen Schiffs vor. Die Firma ar engineers unterstützt seit 12 Jahren als Dienstleister bei Herausforderungen des Leichtbaus.
Leichtbaustrukturen aus Verbundwerkstoffen bieten im Boots- und Schiffsbau nicht nur den Vorteil einer maximalen Steifigkeit bei geringem Gewicht sowie einer Korrosionsbeständigkeit. Sie ermöglichen auch eine sehr individuelle Formgebung, welche mit metallischen Materialien nicht oder nur verbunden mit höheren Kosten erreicht werden kann. Diese Designfreiheit ist auch notwendige Voraussetzung bei der Entwicklung von Foils. Das sind Ruderblätter, die die Boote und Schiffe wie Tragflächen aus dem Wasser heben und damit den Widerstand auf ein Minimum reduzieren. So können Schiffe schnell und emissionsarm fahren. Bei ar engineers werden Foilsysteme aus Carbon entwickelt und mit einer speziellen Klebtechnologie verarbeitet.
Einen Grund für den zögerlichen Einsatz von Verbundwerkstoffen im Schiffbau sieht Axel Reinsch auch in der gängigen Praxis, dass Schiffbauer Anbauteile oder Rettungsboote bei Bootsbauern einkaufen und damit kein eigenes Know-how für den Einsatz und die Anwendung dieser Materialien aufbauen.
Referent: Axel Reinsch, ar engineers GmbH
Diskussion
Das Brandschutzniveau für Stahl gilt auch für Verbundwerkstoffe. Allerdings müssen die Testverfahren hier fair gestaltet werden und ggf. Isolierungen wie bei Alu genutzt werden. Versiegelung im Produktionsprozess verhindert die Feuchtigkeitsaufnahme beim Einsatz von Naturfasern im Bootsbau. Im Regelwerk für die Binnenschifffahrt ist der Einsatz von Faserverbundmaterialien streng limitiert. Das Kollisionsrisiko durch Schleusen und Grundberührung schränkt die Möglichkeiten ein. Bei Verkleidungen und abnehmbaren Teilen sind die Hürden für Verbundteile deutlich niedriger. High-Speed-Schiffe haben weniger strenge Regeln und können beim Transfer eine wichtige Mittlerfunktion in den Schiffbau übernehmen.
Die Aufzeichnung der Veranstaltung können Sie auf dem YouTube-Kanal des CU anschauen: https://youtu.be/paCpxfrbR9M?feature=shared.
Der nächste Termin unserer Reihe:
02. Dezember 2024 „Verbundwerkstoff trifft Schienenfahrzeug“ (14.00 Uhr, online)
Programm und Einladung finden Sie frühzeitig auf der CU-Internetseite.
Weitere Informationen erhalten Sie von:
Dr. Heinz Kolz, CU West, heinz.kolz@composites-united.com
Dr. Thomas Heber, CU Ost, thomas.heber@composites-united.com
Dr. Bastian Brenken, CU Nord, bastian.brenken@composites-united.com