Bauprodukte und Bauarten dürfen nur zur Anwendung kommen, wenn die gesetzlichen Anforderungen erfüllt sind. Diese Anforderungen sind sehr komplex, auch weil die dahinterstehenden Schutzziele vielfältig sind. So müssen Bauwerke Vorgaben für mechanische Festigkeit und Standsicherheit, Brandschutz, Gesundheit und Umweltschutz, aber auch für Schall- und Wärmeschutz entsprechen. Diese Hürde müssen auch innovative Materialien und Bauarten mit faserverstärkten Werkstoffen bewältigen, bevor sie die Zulassung für Bauanwendungen erhalten.

Das Fachnetzwerk CU Bau des Composites United e.V. hat zur Förderung des Einsatzes von Faserverbunden in der Baubranche das BMBF-Innovationsforum „FiberBuild – Faserverbundindustrie erschließt Bauwesen“ ins Leben gerufen. Im Rahmen des Projektes sollen Akteure der Bau- und Faserverbundindustrie vernetzt und so zum Wissens- und Erfahrungsaustausch angeregt werden.

Nach dem ersten erfolgreichen Event „Bau trifft Faserverbund“ stand bei der Folgeveranstaltung am 15. Juli 2021 nun die Baubranche mit ihren Akteuren, Besonderheiten, Herausforderungen und Anforderungen im Mittelpunkt. Unter dem Motto „Faserverbund trifft Bau“ nahmen ca. 70 Gäste am virtuellen Workshop teil. Gastgeber war die Firma Goldbeck GmbH in Bielefeld.

Dr. Oliver Heppes (Abteilungsleiter Entwicklung Carbonbeton, Goldbeck GmbH) stellte im Eröffnungsvortrag Chancen und Risiken von neuen Verbundwerkstoffen in der Bauindustrie heraus. Im Gegensatz zum Stahlbeton kommen bei Beton mit einer Carbon- bzw. nichtmetallischen Verstärkung rostfreie Werkstoffe als Bewehrung zum Einsatz. Um Stahl vor Korrosion zu schützen, ist eine dicke Beton-Schutzschicht, die sogenannte Überdeckung, erforderlich. Bauteile mit einer nichtmetallischen Bewehrung können ohne Überdeckung wesentlich „schlanker“ ausfallen. Dies reduziert den Material-Einsatz und spart bei der Herstellung, beim Transport sowie bei der Verwendung Energie und verringert die Co2-Emmissionen. Darüber hinaus sind Betonbauteile mit nichtmetallischer Bewehrung nahezu wartungsfrei bei einer längeren Lebensdauer. Faserverbundwerkstoffe erlauben außerdem eine besondere Designfreiheit und die Integration erweiterter Funktionalitäten.

Trotz vieler Vorteile kommen Bauprodukte mit faserverstärkter Beton- oder Polymermatrix aktuell noch nicht flächendeckend zum Einsatz. Ein Grund dafür ist die fehlende Standardisierung der Bewehrungen hinsichtlich Geometrien oder auch Verbundeigenschaften, so Dr. Heppes. Dazu kommt das Fehlen von einheitlichen Begrifflichkeiten. Ein weiteres Hemmnis für die Anwendung von Faserverbunden in Bauanwendungen stellen die strengen Regularien der Zulassungsbehörden dar, Ergänzungen oder Änderungen der technischen Regeln und Normen sind notwendige Voraussetzung, aber auch aufwendig und langwierig.

Für dieses Themenfeld hatten die Veranstalter Frau Dr. Martina Lemberg vom Regierungspräsidium Tübingen – Landesstelle für Bautechnik eingeladen. Sie gab einen Überblick über die komplexen bauaufsichtlichen Anforderungen und Zuständigkeiten im Genehmigungsverfahren für neue Bauprodukte und Bauarten. Dr. Lemberg erläuterte zudem das Vorgehen, um die erforderlichen Genehmigungen über eine projektbezogene Zustimmung im Einzelfall (ZiE) oder eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung (abZ) zu erlangen.

Ihre Erfahrung bei der Entwicklung von nichtmetallischen Bewehrungen sowie Produkten aus Faserverbunden für die Bauindustrie teilten Dr. Andre Weber (Schöck Bauteile GmbH) und Dr. Marcus Hinzen (solidian GmbH) mit den Teilnehmer*innen. Dabei stellten sie beispielhaft Brücken- und Parkhaussanierungen, Neubauten, Erdbebensanierungen sowie Instandsetzungen für Böden und Deckenplatten vor.

Vor der abschließenden Diskussionsrunde gab Markus Mühlhaus (Goldbeck GmbH) einen umfangreichen Einblick in die Fertigung von Parkhausdeckenplatten. Die Deckenplatten aus Carbon-Beton ersetzen die tragende Stahlbewehrung herkömmlicher Tragelemente. Die Carbon-Matte wird in einem textilen Verfahren hergestellt und anschließend beschichtet. Das erste Pilotprojekt hat Goldbeck bereits mit dem Bau eines Mitarbeiterparkhauses in Hirschberg realisiert, dort wurde erfolgreich Carbon statt Stahl als tragende Bewehrung eingesetzt. Die laufende allgemeine Zulassung durch das Deutsche Institut für Bautechnik wird die Voraussetzungen für die Serienfertigung dieses Systembauteils schaffen.

Roy Thyroff (Netzwerkgeschäftsführer CU Bau) fasst den zweiten Workshop wie folgt zusammen: „Die Vorträge und Wortmeldungen heute haben gezeigt, dass viele Akteure bereits intensiv an der Entwicklung von innovativen Baulösungen arbeiten. Allen Beteiligten ist auch bewusst, dass wir für die erfolgreiche Etablierung dieser Technologie am Markt weiter Durchhaltevermögen benötigen. Die dafür nötigen zeitlichen und finanziellen Aufwendungen zur Erlangung der Zulassung müssen bereits im Planungsprozess berücksichtigt werden. Die heutige Veranstaltung hat auch einen großen Beitrag für die Verständigung zwischen beiden Branchen geleistet und auch gezeigt, dass die Baubranche vielfältige Anforderungen an Faserverbunde stellt. Diese reichen von der Wirtschaftlichkeit, über ein einheitliches Regelwerk für Standards und Begrifflichkeiten bis hin zur Recyclingfähigkeit der Werkstoffe. Hier ist zukünftig viel Pioniergeist gefragt. Mit dem Innovationsforum „FiberBuild“ und den neuen technischen Arbeitsgruppen des CU Bau legen wir dafür wichtige und richtige Grundsteine.“

Die Abschlussveranstaltung des vom BMBF geförderten Innovationsforum „FiberBuild“ findet am 13. und 14. Januar 2022 statt.

 

Markus Mühlhaus, Dr. Oliver Heppes (beide Goldbeck GmbH) und Roy Thyroff (CU Bau) moderierten den Workshop aus Bielefeld (v.l.n.r.).
Ein Hemmnis für den Einsatz von Faserverbunden im Bauwesen zeigt Dr. Oliver Heppes (Goldbeck) in seinem Vortrag: Die fehlende Standardisierung von nichtmetallischen Bewehrungen. (Bilder: Carbon Concrete Composite e.V. , solidian GmbH, TU Dresden – Institut für Massivbau, LZS GmbH, TUDALIT e.V., Universität Innsbruck)